Wenn wir über die “heimliche Hauptstadt reden, geht es natürlich um die Stadt Cork (Corcaigh) im Süden der Insel.
Obwohl Cork nur etwa 120.000 Einwohner hat und insgesamt auch nicht besonders spektakulär ist, bestehen die alles in allem ausgesprochen liebenswerten Bewohner der Stadt, dass Cork die wahre Hauptstadt der Grünen Insel sei.
Dubliner lächeln darüber traditionell nur ein wenig und sagen: “Ja, ja”. Wir wissen wohl alle, was das heißt.
Geschichte
Übersetzt bedeutet der Name soviel wie Marschland. Das macht Sinn, schließlich liegt das alte Stadtzentrum auf einer Insel in der Flussmündung der Lee. Gegründet wurde die Stadt offiziell im Jahre 606, begeht im Moment also gerade einen runden Geburtstag. Besiedelt war die Insel wohl schon davor. Der Heilige Finbarr soll in der Zeit zwischen 500 und 600 n. Chr. auf der Flussinsel ein Kloster gegründet haben.
So richtig städtisch ging es wohl erst im 9. Jahrhundert zu, als die Wikinger kamen. Vermutlich haben die so oft verkannten Nordmänner die Insel großflächig aufgeschüttet, den Platz also erstmals richtig bewohnbar gemacht. Dass die Eroberung durch Wikinger nicht unbedingt etwas Schlechtes sein musste, kennen wir auch von anderen Orten. Besonders drastisch zeigt sich dies in York. Die Stadt gilt heute als einer der Perlen Englands, erst unter den Wikingern entwickelte sie sich zu einem Handelszentrum von internationalem Rang. Bei Ausgrabungen wurden zahlreichen prachtvolle, kunstgewerbliche Artikel aus der Zeit entdeckt, aber kein einziges Schwert. Soviel zu den blutrünstigen Barbaren.
Ich will natürlich nicht behaupten, dass die “Dänen” alles nur nette Zeitgenossen waren. Blutaxt bekam seinen Namen nicht, weil er gut mit Kindern konnte, man soll das Bild der Wikinger einfach nicht so polarisieren. In erster Linie wollten sie was nebenbei verdienen. Je nachdem wie sie die Profitabilität einschätzten, raubten sie halt oder errichteten einen Handelsstützpunkt. Ohne diesen Einfluss gäbe es heute wohl weder Cork noch Dublin.
Im 13. Jahrhundert kamen dann die Normannen, die in mancher Hinsicht natürlich auch nichts anderes als Wikinger waren. Die Stadt wurde intensiv ausgebaut und durch Mauern und Turme geschützt. 1649 wurde es dann durch Oliver Cromwell erobert, schon ab 1620 entwickelte es sich zu einem der wichtigsten Handelszentren Irlands. Eine besondere Rolle spielte dabei der Handel mit den Kolonien in Amerika und Westindien.
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Die Iren verbindet bis heute eine besondere Beziehung zu den Amerikanern und ganz besonders natürlich dem irisch-stämmigen John F. Kennedy. Den, obwohl in Boston geboren, betrachten sie als einen der ihren und Kennedy war immerhin einer der populärsten Präsidenten der amerikanischen Geschichte. Mit Ausnahme von George W. Bush Jr. fanden übrigens alle amerikanische Präsidenten einen warmen Empfang vor. Mit dem 43. Präsidenten haben sie es allerdings nicht so. Als sich später herausstellte, dass Bush auch noch mit dem berüchtigten Strongbow verwandt sein könnte, war es ganz aus. Sie mögen ihn einfach nicht.
Ganz selbstverständlich war es auch der Hafen Corks, über den der Exodus von etwa 3 Millionen Iren in die Neue Welt stattfand. Das allerdings war keine so schöne Geschichte.
Im 18. Jahrhundert sprengte Cork endlich die alten Stadtgrenzen, die Besiedlung dehnte sich auch auf das Festland an beiden Ufern der Lee aus. Im 19. Jahrhundert entstand dann Washington Street, die erstmals das mittelalterliche Mauersystem durchbrach und eine Verbindung zu den neu angelegten Stadtteilen im Westen herstellte. Cork erhielt sein modernes Gesicht.
Besonders erwähnenswert wäre dann wohl noch die Rolle Corks im Unabhängigkeitskampf gegen die bösen Engländer. Wer nicht so sattelfest in neuerer irischer Geschichte ist, dem sei die Sache kurz umrissen:
Widerstand gegen die englische Besatzung gab es schon lange, allerdings waren sich die Iren uneins über die Form des Widerstandes. Etlichen ging es schließlich ganz gut und es hatte irgendwie ja auch Tradition, von ausländischen Mächten regiert zu werden.
Die blutige Niederschlagung des Osteraufstandes im Jahre 1916 brachte nun aber auch den letzten Iren auf die Seite der Separatisten. In den allgemeinen Wahlen von 1918 errangen die Republikaner entsprechend einen Kantersieg und erklärten Irland kurzerhand für unabhängig. Sie schufen ihr eigenes Unterhaus. Eamon de Valera, ein Überlebender des Osteraufstandes wurde erster Vorsitzender der Kammer.
Es kam was kommen musste: Her majesty was not amused und schickte Truppen, um den Paddies ein für allem mal die Flausen auszutreiben. Zu seiner Verteidigung muss ich allerdings anmerken, dass George V. damit eigentlich nichts zu tun hatte und maßgeblich an der Beendigung des Konflikts beteiligt war. Ist mehr eine figure of speech, eine Redewendung.
Der irisch-englische Krieg tobte bis Mitte 1921, wurde ausgesprochen schmutzig geführt und endete mit einer Art Patt. Im Anglo-Irish-Treaty erhielten als Teil eines Waffenstillstandsabkommens 26 irische Provinzen ihre Unabhängigkeit, den anderen sechs (in Ulster) ließ man die Wahl, ob sie dem neu gegründeten irischen Freistaat beitreten wollten.
Für die Iren war das alles in allem eine akzeptable Lösung, aber natürlich nicht für alle. Es gab die Pro-Treaty-Fraktion und entsprechend auch eine, die von dem Abkommen nicht ganz so viel hielt. Sie war davon überzeugt, dass man die bösen Briten ganz von der Insel treiben sollte. Cork, Limerick und Waterford wurden von den Gegnern dieses Englisch-Irischen Friedensabkommens gehalten. Um das zu unterstreichen rühmt sich Cork bis heute, einer besonderen Unabhängigkeit seit den Zeiten der Wikingerüberfälle zum Ende des 8. Jahrhunderts. Wir Dubliner sagen dazu nur: Klar, ihr denkt ja auch ihr seid die wahre Hauptstadt.
Die Stadt
Für Cork bildete das Jahr 2005 einen besonderen Höhepunkt. Da war es Europäische Kulturhauptstadt. Es gab seinerzeit einige Kritik an der Wahl. Viele störte, dass Cork nicht so arg viel zu bieten hat und eigentlich ein ganz klein wenig zu provinziell ist für eine Europäische Kulturhauptstadt. Man könnte sogar sagen, dass – abseits von extra für die Europäer inszenierten Spektakel – da der Hund begraben liegt. Das mag etwas fies klingen, es ist aber wirklich so, dass in Cork nicht unbedingt der Bär steppt.
Ganz so schlimm ist es natürlich auch nicht. Für Jazzfreunde zum Beispiel ist Cork immer eine gute Adresse und da ich mich da auch dazu zähle, will ich es nicht gar so schlecht machen. Die berühmtesten Kinder der Stadt sind übrigens Rocklegende Rory Gallagher und Fußballmegastar und Enfant terrible Roy “Keano” Keane.
Wichtigster Arbeitgeber der Stadt ist Apple und das passt eigentlich ganz gut. Der Hersteller des “einzig wahren Betriebssystems” siedelt sich in der “einzig wahren Hauptstadt” Irlands an. Soll er. Im fernen Dublin finden sich halt nur weitgehend unbedeutende Firmen wie Microsoft, IBM, Xerox, eBay, Hewlett Packard, Creative Labs, Vodafone, UPS und so weiter, die ihre europäischen Hauptquartiere allesamt auf der Grünen Insel und in völliger Unkenntnis der eigentlichen Lage in, was sie für die Hauptstadt und Megametropole hielten, aufgeschlagen haben.
Ein wenig was zu sehen gibt es Cork natürlich auch. Ausdrücklich erwähnen möchte ich, die St. Finbarr Kathedrale in Anlehnung an den Gründer der Stadt, das neue Opernhaus mit seiner spiegelnden Fassade, den viktorianischen Backsteinbau der städtischen Gemäldegalerie, die alte Universität, die Haupteinkaufsmeile St. Patricks Street und für unsere Feinschmecker den English Market.
Sehenswert sind darüber hinaus noch Bantry House & Gardens und Blarney Castle, wo es schick ist, den sogenannten Blarney Stone zu küssen. Angeblich verhilft das zu besonderer Eloquenz. Ich habe die Geschwätzigkeit der Iren immer auf das gute Guinness geschoben (das übrigens in Dublin gebraut wird), aber vielleicht lag ich falsch und alle Dubliner Kneipenphilosophen sind an einem Punkt ihres Lebens mal nach Cork gekrochen und haben den sagenhaften Stein geküsst. Niemand ist allwissend, außer den erwähnten Kneipenphilosophen natürlich.
Zu bestaunen gibt es zudem noch verschiedene Wildlife Parks, Desmond Castle, Mizen Head (den südwestlichsten Punkt Irlands) und nicht zu vergessen The Royal Gunpowder Mill, wo bis ins Jahr 1903 Schießpulver hergestellt wurde.
Ein kleiner Nachtrag noch: Ich hab nichts gegen Cork, aber etwas Spott müssen sie schon abkönnen, schließlich haben sie den Streit angefangen.
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